RIP Tom

Langzeitfolgen des Versagens staatlicher Trennungsinstitutionen

Unter dieser Überschrift steht ein Unterfangen von mir, das nach über 20 Jahren Arbeit die Summe aller meiner Erfahrungen zusammenführt.

Ich habe über 3000 Elternteile beraten. Aus dieser Arbeit resultieren viele Kontakte, die ich nutzen möchte, Daten zu eben diesen Langzeitfolgen zu erheben.

Ein drastisches Beispiel möchte ich hier vorstellen:

Werner kam im Oktober 2007 zu mir. Seit der Trennung von der Mutter von Tom arbeitete er mit Rechtsanwälten – bereits als Tom noch ein Baby war. Die Gründe der Trennung waren für Werner Provokationen und unkontrollierte Wutausbrüche seiner Frau. Ihre mit in die Ehe gebrachte 16-jährige Tochter züchtigte sie gewalttätig mit einem Gürtel. Werner nahm in dieser Zeit psychologische Hilfe in Anspruch. Ihre Tochter kümmerte sich intensiv um Tom und verließ die Mutter in dessen Grundschulalter. Ein zweites Gutachten vom 02.10.2007 erwähnte nebenbei die Streitereien zwischen Mutter und Kind. Obwohl Defizite in der Erziehung bei der Mutter bekannt waren, entschied die Gutachterin, Tom bei seiner Mutter zu belassen und er erhielt nur den „Standardumgang“ mit seinem Vater. Unbekannt blieben allen Entscheidungs­parteien die vom Vermieter veranlassten Polizeieinsätze auf Grund der gewalttägigen lauten Auseinander­setzungen des Kindes mit seiner Mutter.

Die psychische Gewalt, die die Mutter auf das Kleinkind ausgeübt hatte, wurde vom Sohn wieder in Form von körperlicher Gewalt an die Mutter zurückgegeben. Von einem Suizidversuch des Kindes in diesen Jahren mit Schlaftabletten und ärztlicher Reanimation erfuhr der Vater erst im Frühjahr 2024. Tom hatte damals bereits mit mehreren Psychologen Kontakt, ohne dass der Vater informiert wurde. Ein weiterer von der Mutter kontaktierter Kinderpsychologe lehnte Tom im Vorschulalter als Patient ab und erst dieser informierte den Vater. Tom war durch das symbiotische Verhalten der Mutter parentifiziert: Nicht die Mutter war für das Wohlergehen von Tom verantwortlich, sondern das Kind tröstete und beschützte die Mutter.

Ein afrikanisches Sprichwort lautet sinngemäß, dass zur Erziehung eines Kindes ein ganzes Dorf verantwortlich sein müsse und es schließt strittige Eltern mit ein. Dieser Prozess dauert mehrere Jahre. Das deutsche „Dorf“ besteht aus Gericht, Polizei, Jugendamt, Ärzten, Psychologen, Heimen und einem unqualifizierten parteiischen Freundes- und Familien­kreis.

Was ergab sich im vorliegenden Fall?

Ein vom Vater veranlasstes psychologisches Gutachten aus den Prozessakten bescheinigte der Mutter das Borderline-Syndrom. Es wurde vom Gericht ignoriert. Früher wurde die Mutter vom Gericht jedoch darauf hingewiesen, dass ein Kind von vier Jahren nicht mehr gestillt werden muss und Übernachtungen beim Vater damit nicht verhindert werden sollten. Nie wurde argumentiert, dass das Kind den Kontakt zum Vater bräuchte, sondern dass der Vater ein Recht darauf hätte. Selbstverständlich führte der Vater ein Umgangsbuch, zu dem ihm das Gericht drängte. Und zu Verhandlungsbeginn kam die Frage: „Haben Sie auch den Unterhalt bezahlt? Das ist wichtig!“ D.h., das Wohl des Kindes wurde allein vom finanziellen Wohl der Mutter abhängig gemacht.

Auf Initiative des Vaters wurde eine Moderation beim Jugendamt (JA) begonnen. Der Moderator des JA unterstützte einseitig die Mutter und bestätigte später diese Manipulation auch dem Vater.

Gegen Ende der Grundschulzeit und nach Auffälligkeiten von Tom in der Schule akzeptierte das JA einen Betreuer. Dieser sehr kompetente Psychologe gab nach einigen Monaten auf. Für Tom war es weitgehend zu spät. Für ihn begann eine leidvolle Odyssee, eine griechische Tragödie. Unterstützt durch das JA beschlossen die Eltern, ihn vorübergehend in ein Heim zu geben. Die Mutter gab ihm heimlich verbotene Zigaretten mit, was mit zum Abbruch führte.

Auf einem Drogenumschlagsplatz der Kleinstadt, dem Schulhof einer Grundschule, fand der erste Kontakt von Tom mit Suchtmitteln statt. In einer Reha kamen erste Kontakte mit schweren Drogen und Kriminalität hinzu.

Nach seinem 18. Geburtstag blieb Tom bei seiner Mutter, die alle Gewalttätigkeiten gegen sie hinnahm. Nach einer weiteren Reha lehnte Tom den mit dem Vater gemeinsam organisierten Einzug in eine betreute WG ab und ging zur Mutter zurück. Vorschläge des Vaters über ein schulisches und berufliches Fortkommen wurden von seiner Mutter abgelehnt. Zum schlechten Vater sollte er nicht mehr gehen. Die Mutter übernahm seine behördlichen Aufgaben und schloss ihn weitgehend davon aus. Tom wurde zur Unselbständigkeit gedrängt.

Mehrere Jahre verbrachte er ausschließlich in einer Abendschule, schlief über den Tag und nahm Drogen. Verschiedene unqualifizierte, auch ausbeuterische Beschäftigungen sowie eine Lehrstelle, die er abbrach, erlaubten für ca. zwei Jahre ein annähernd normales Leben. Neben auch stressfreien Zeiten mit seiner Mutter gab es häufig Gewaltexzesse mit ihr sowie ihrem Lebenspartner. Die Mutter entpuppte sich als Verschwörungs­theoretikerin und „müllte“ ihn mit Fake-News über WhatsApp ein. Zu seinem Vater, der ihn bis dahin nur sporadisch sah und vieles ahnte, suchte er ab Mitte 2023 mehr Kontakt. Zögerlich und einmal impulsiv öffnete sich Tom seinem Vater.

Ende 2023 drohte er mit Suizid und nach mehreren Einsätzen der Polizei kam er zum Vater. Unter Drogen sagte er immer wieder, dass er seine Mutter umbringen will. Tom blockierte alle Verbindungen zu seiner Mutter auf dem Handy. Die Mutter schrieb dem Vater, dass Tom nicht mehr bei ihr sein könne und zu ihm müsse. Tom wurde, nach kurzfristigen Aufenthalten in einer Klinik und Reha, clean und besonnen und erfuhr erstmals seine Entwicklung aus Sicht des Vaters. Die (zufällig) gemeinsame Hausärztin nannte das Verhältnis zwischen Tom zu seiner Mutter „toxisch“ und half ihm zu einem Klinikaufenthalt und einer anschließenden Reha mehrere hundert Kilometer entfernt.

Dort verstarb er kurz nach seinem 26. Geburtstag (nach einer Blut­untersuchung clean) Mitte 2024, wohl an multiplem Organversagen nach seiner multi­toxischen Drogenkarriere.

Wie hätten die leidvollen Jahre für Tom verhindert werden können?

Zwei Gutachten beschrieben grob falsch die Wohnungs­situationen der Eltern, waren mit Textbausteinen aufgebläht, einseitig mütterorientiert und wurden vom Vater vor Gericht „zerrissen“. Trotzdem wurde ihnen vom Gericht gefolgt. Erst nach Jahren wurde ein Gutachter berufen, der eine einvernehmliche Umgangsregelung erreichen sollte– und nicht mehr. Er benutzte hierfür erfolgreich aufklärende Einzelgespräche. Nach deren Einführung blieben die strittigen Eltern wieder alleine.

Wie im afrikanischen Dorf könnten Gutachter oder Psychologen über mehrere Jahre als Ansprechpartner für strittige Eltern eingesetzt werden. Neben der Beachtung persönlicher Empfindlichkeiten und Glaubens­sätzen können diese Damen und Herren Erziehungshilfen bieten, wissenschaftliche Erkenntnisse unterschiedlicher Umgangsformen vorschlagen und Fehl­entwicklungen eines Kindes rechtzeitig erkennen. Die Praxis der Gutachten­erstellung im familialen Verfahren muss dringend überdacht und neu konzipiert werden.

Kulturell tief verwurzelte Überzeugungen in der Gesellschaft, wie, dass Kleinkinder zur Mutter gehören, müssen aufgebrochen werden. Eine zwischen den Eltern geteilte Elternzeit ist dafür ein wichtiger Schritt. Datenschutz­regelungen zwischen Polizei, Jugendamt und Ärzten verhinderten eine umfassende Darstellung der oben skizzierten Verhältnisse.

Gerichte und Jugendämter müssen verinnerlichen, dass ihnen durch ihr Einschreiten eine Mitverantwortung für die Kinder aufgebürdet wird. Verantwortung kann jedoch nur erfolgreich wahrgenommen werden, wenn über Jahre immer wieder zumindest kurze Kontakte ermöglicht und wahrgenommen werden.

Bevor ein Gericht im Rahmen einer Trennung mit Kind einen Beschluss fällt, müssten die Scheidungs­willigen mit vom Staat bezahlten Fachleuten eine Scheidungs­vereinbarung schriftlich erarbeiten. Hierzu müssten Rechtsanwälte, Steuerberater, Psychologen, Moderatoren und sonstige Stellen kontaktiert werden. Neben einer Vermögens­aufteilung und Unterhalts­regelungen sind hier Regelungen zum Kindeswohl nach dem Zerbrechen der Beziehung der Eltern hervorzuheben. Die verwaltungs­technischen Kosten der Scheidung sind dann minimal. („Dänisches Scheidungsrecht“).

Regelungen über das Sorge- und Aufenthalts­bestimmungsrecht dürfen frühestens zum Zeitpunkt der Trennung erfolgen. Viele jahrelange Streitigkeiten vor Gericht, mit psychischen Verletzungen beider Eltern und den Kindern, Ängsten und Existenzsorgen, könnten verringert werden – und damit nicht nur eine Reduzierung der psychischen, gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen negativen Folgen, sondern auch eine Entlastung der Sozialkassen.

Kennen Sie den Fahrplan von Hamburg HH nach Brunsbüttel oder München HH nach Straubing? Nicht? Genauso geht es allen Eltern: nicht örtlich, sondern nur zeitlich sind sie direkt betroffen. Das Scheidungsrecht ist fundamental, kulturell und werteorientiert.

Könnten wir nicht das Vorbild aus Irland nutzen? Dort konnte die Politik sich nicht über ein Gesetz über den Schwanger­schafts­abbruch oder über gleichgeschlechtliche Ehen einigen. Bei einer unvorbereiteten Volksabstimmung hätten rhetorisch geschickte Populisten die Bevölkerung aufgehetzt und gespalten. (Siehe Frankreich, England, USA…). Man führte Bürgerräte ein, in denen faktenorientierte und offene Diskussionen stetig die Öffentlichkeit über die Themen sensibilisierte. Wäre das nicht etwas?

Ich definiere das Ziel so:

Der Staat muss sich vom gefühlten Etatismus [siehe Wiki] entfernen und als umfassender Dienstleister Menschen in den schwierigen und bedrohlichen Lebensphasen einer Trennung so unterstützen, dass sie ihren Verantwortlichkeiten gegenüber allen Familienmitgliedern langfristig mit selbstbestimmten Lösungen innerhalb ihrer Möglichkeiten gerecht werden können.

Der erste Schritt könnte die Erarbeitung eines Konzeptes im obigen Sinne sein, dabei Vor- und Nachteile beschreiben und Anwendungs­grenzen aufzeigen. Bestehende Strukturen (wie das JA) sind mit einzubinden. In diese Vorleistung sollten Betroffenen-Organisationen wie der VAfK und ähnliche Vereine eingebunden werden.

Gemeinsam sind die Fachgremien / Fachausschüsse aller demokratischen Parteien zu einer Stellungnahme aufzufordern. Aufgeschlossene Politiker*innen, die in ihrer Partei in der Minderheit sind, sollten direkt angeschrieben werden. Wir, die Betroffenen, müssen diese Personen stützen, um in ihrer Partei das Konzept in das Parteiprogramm aufzunehmen. Könnten Sie Bürgerräte initiieren? Auch überparteiliche Bewegungen, ideologiefrei, könnten sich entwickeln. Die Hybris vieler Politiker*innen muss angegriffen werden, vorhandene Ideologien, getarnt als Interessenvertretungen zum Wohle des Kindes, entlarvt werden. Somit könnten Menschen im Scheidungsprozess und danach vom „deutschen Dorf“ Dienstleistungen erhalten, um selbstbestimmte Wege entwickeln zu können.

Dieser Text wurde in Kooperation mit dem betroffenen Vater erstellt.


Quelle: RIP Tom, Franzjörg-Krieg-Blog am 1. September 2024