Familie im Kommunismus

Zur Abwertung reproduktiver Arbeit und der Fortschreibung kapitalistischer Geschlechterarrangements in der Sowjetunion

Die Frage, welche Rolle die Familie im real­sozialistischen Kommunismus eingenommen hat, erscheint nur oberflächlich betrachtet als „weiches“ Spezialthema. Bei näherem Hinsehen sind in ihr jedoch viele verschiedene die Gesellschaft strukturierende Themen, wie die Frage nach dem neuen Menschen, Geschlechter­rollen, Frauenpolitik und Erziehung miteinander verknüpft. Vor allem aber wirft sie das Problem auf, welche Tätigkeiten gesellschaftlich anerkannt werden. Die Ausgestaltung der Familie kann insofern als Mikrokosmos gelten, in dem die meisten zentralen Strukturen dieser Gesellschaft in ihrer Bedeutung für die Identität deutlich werden.

Die revolutionäre Sowjetunion war angetreten, die Menschen aus den Fesseln der adeligen und bürgerlichen Gesellschaft zu befreien. Die Grundlagen für die Ausgestaltung der Familie im Kommunismus sollten im Studium von Marx und Engels gefunden werden. Neben Marx‘ Deutscher Ideologie waren Engels‘ Vom Ursprung der Familie und Bebels Die Frau und der Sozialismus die wichtigsten theoretischen Ausgangs­punkte.

Die Rolle der Familie sollte im Einklang mit diesen kanonischen Texten neu definiert werden. Die sich daran anschließende Diskussion kann als Versuch einer orthodoxen Interpretation gelten, die jedoch wie die Textstellen bei Marx selbst widersprüchlich blieb. Die Fantasien schwankten zwischen der Vergesellschaftung der Familie als Kinder­arbeits­kommune und der Familie als wichtigster Sozialisations­instanz für das staats­bürgerliche Bewusstsein.

Lenin bezeichnete es als die „Hauptaufgabe“, die Frau „in die gesellschaftliche Produktions­arbeit einzubeziehen, sie aus dem Haus­sklaventum heraus­zu­reißen, sie aus der nieder­drückenden und auf­gezwungenen Unterordnung unter die ewige und ausschließliche Welt der Küche und des Kinderzimmers zu befreien.“ [1]

Angestrebt war zugleich die Auflösung der althergebrachten bürgerlich kapitalistischen Familien­struktur, für die bereits ein „Absterben der Familie“ diagnostiziert wurde, ohne allerdings genau zu wissen, was an deren Stelle zu setzen sei.

Alexandra Kollontai zur Familie im Kommunismus

An den Positionen Alexandra Kollontais lässt sich exemplarisch zeigen, wie versucht wurde, aus den geschichtlich prognostizierenden Aussagen bei Marx und Engels eine praktische Anleitung für die Familie im Kommunismus zu entwickeln. Der Zeitraum meiner Untersuchung beschränkt sich auf die ersten 20 Jahre des sowjetischen Kommunismus. Aus der heutigen Sicht erscheint die absichtsvoll dogmatische Interpretation der damaligen Akteure hilflos und fragwürdig. Sie ermöglicht es jedoch, gleichzeitig auf ganz erstaunlich deutliche Art und Weise die Bezüge zwischen dem theoretischen Marx und seiner Interpretation für die Praxis im sowjetischen Real­sozialismus herzustellen.

Mit der Verdeutlichung dieser Beziehung soll in der folgenden Untersuchung der Familie im Kommunismus auch ein Licht auf die fragwürdigen Implikationen dieser Utopie geworfen werden.

Welche gesellschaftliche Utopie entwirft Marx selbst hinsichtlich der revolutionären Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft? Was bedeutet dies für die Familie im Kommunismus? Inwiefern können die hier vorgestellten sowjetischen Positionen als plausible Interpretationen dieser Utopie gelten? Und was folgt aus einer Analyse und Kritik des historischen Real­sozialismus für die Utopie einer freien Assoziation, die den Namen Kommunismus verdienen würde?

Alexandra Kollontai (1872-1952), Tochter einer russisch-finnischen Adelsfamilie, gehörte zu den wichtigsten Frauen im Politkader der frühen Sowjetunion. Ab 1917 als erste Frau im revolutionären sowjetischen Kabinett, wirkte sie ab 1919 für einige Jahre als Vorsitzende der Frauen­abteilung (zenotdely) beim ZK der Partei, zugleich aber auch als Volks­kommissarin für soziale Fürsorge.

Die geschiedene, allein­erziehende Mutter war federführend an der kurzzeitigen Liberalisierung des Scheidungsrechts und der Legalisierung der Abtreibung beteiligt. Die Leitlinien ihrer Politik lassen sich unter dem Slogan „Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – und ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus“ zusammenfassen.

Kollontai verfasste neben Erzählungen viele politisch agitatorische Texte, die sich mit der Rolle der Frau und der Familie im Kommunismus aus­einander­setzen. Von 1923 bis 1946 vertrat sie die Sowjetunion in Norwegen, Mexiko und Schweden als Diplomatin.

In ihrer Schrift Familie und Kommunismus von 1920 entwickelt Kollontai ihre Thesen zur Familie im Kommunismus im Einklang mit einer historisch-materialistischen Perspektive. [2] Analog zur Marxschen Kritik formuliert sie wesentliche Tendenzen der Veränderung der Familie im Kapitalismus und versucht diese auf ihr emanzipatives Potenzial für einen Kommunismus zu untersuchen. Ihre Untersuchung entwickelt sich entlang der vier folgenden Thesen: Erstens, die Berufstätigkeit der Frau zerstört die Familie im Kapitalismus. Kollontai geht davon aus, dass sich die Familie in Folge der Berufs­tätigkeit von Frauen im Kapitalismus bereits von patriarchaler männlicher Entscheidungs­gewalt entfernt habe. Diese positive Tendenz führe im Kapitalismus jedoch zu einer Zerstörung der Familie, weil die Frau in Folge ihrer Berufstätigkeit Haushalt und Kinder vernachlässigen müsse. Diese zerstörerischen Wirkungen werden jedoch keineswegs betrauert. Stattdessen erblickt Kollontai darin eine objektive geschichtliche Tendenz, die nur noch aus den Entfremdungen der kapitalistischen Klassen­gesellschaft befreit werden müsse.

Zweitens verwandele sich die Familie in eine Konsumtions­gemeinschaft. Im Unterschied zur häuslichen Produktion der Vergangenheit, die mit umfangreicher Vorrats- und Lager­haltung verknüpft war, werden im Kapitalismus zunehmend Lebensmittel, Haushalts­gegenstände und Kleidung massenhaft industriell hergestellt. Die Familie wandelt sich deshalb von der Produktions­gemeinschaft zur Konsum­gemeinschaft. Wie Marx und Engels sieht Kollontai die Tendenz der Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität als das entscheidende transitorische und emanzipative Element in der Geschichte. Die Produktion und Reproduktion des Lebens, als Produktion von Lebensmitteln und Menschen, werden deshalb zunehmend gesellschaftlich. Damit werden sie aber auch aus den „Geschlechter­banden“ der familiären Gemeinschaft herausgelöst, wie im Ursprung der Familie von Engels postuliert wird. [3]

Als dritte These betont Kollontai: Hausarbeit ist unproduktiv. Obwohl die im Haushalt verbliebenen Tätigkeiten wie Putzen, Kochen und Waschen notwendig für die Reproduktion der Familie und der Gesellschaft sind, werden diese dennoch als unproduktiv definiert. Wie kommt es zu dieser Entgegen­setzung von produktiver und unproduktiver Arbeit? Warum gilt industrielle Arbeit als produktiv, Tätigkeiten die der Produktion von Leben dienen hingegen als unproduktiv? Kollontais Antwort darauf kann hier stellvertretend für die Antwort aller Marxisten dieser Zeit stehen. Sie spricht ausdrücklich an, dass Putzen und andere haus­hälterische Tätigkeiten anstrengend und schwierig sein können, sie erkennt ihnen aber keinen Wert für die nationale Ökonomie zu. Damit reproduziert sie theoretisch die kapitalistische Bewertung von Arbeit.

Ihre Unterscheidung geht auf die Kategorie der produktiven Arbeit bei Marx zurück. Marx hat diese im Wesentlichen von Adam Smith übernommen und an einigen Stellen modifiziert. Die Definition der produktiven Arbeit bei Kollontai entspricht der national­ökonomischen Perspektive von Smith aus dem Wohlstand der Nationen und fällt hinter den kritischen Gehalt der Kategorie bei Marx wieder zurück. Adam Smith: „Es gibt eine Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv. So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er bearbeitet, im Allgemeinen um den Wert des eigenen Lebens­unterhalts und um den Gewinn seines Unternehmers. Die Arbeit eines Dienstboten dagegen erzeugt nirgendwo einen solchen Wert.“ Unproduktive Arbeit „drückt sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus.“ [4]

Kollontai beschreibt die Tätigkeit der Hausfrau in Analogie zur Arbeit des Dienstboten: Egal wie lange und intensiv die Hausfrau gearbeitet haben mag, sie wird am Ende des Tages keine quantifizierbaren oder dauerhaften Werte produziert haben. Ihre Arbeit muss folglich wie die des Dienstboten jeden Tag von Neuem beginnen. Sie endet nie und manifestiert sich nicht in einem bleibenden Produkt für den Verkauf. Wie schon viele Feministinnen bemerkten, ist es eine qualitative und äußerst frustrierende Spezifik von alltäglicher Hausarbeit, dass die Resultate der Arbeit nahezu unmittelbar wieder ge- oder verbraucht werden und damit verschwinden. Das gespülte Geschirr wird im Gebrauch wieder beschmutzt. Die Arbeit ist nie abgeschlossen. Zwar sind arbeits­einsparende Spülmaschinen wünschenswert, an der zyklischen Natur der Arbeit und ihrer Unabgeschlossenheit ändert sich aber auch im Kommunismus nichts. Es ist folglich eine spannende Frage, warum diese Arbeit in einer revolutionären Gesellschaft am Maßstab der Produktivität gemessen wird, wie dies Kollontai tut.

Diese Interpretation von produktiver Arbeit unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von der bei Marx: Dort ist produktive Arbeit eine vorwiegend relationale Bestimmung. D.h. sie definiert nicht die Materialität oder Beschaffenheit des Produktes oder die Qualität der Tätigkeit, sondern nur, ob sie „direkt im Produktions­prozess zur Verwertung des Kapitals konsumiert wird.“ [5] Entscheidend ist für Marx, dass die Arbeit für das Kapital als Lohnarbeit geleistet wird. „Produktive Arbeit“ ist bei Marx eine kritische Kategorie, die verdeutlichen soll, dass es sich im Kapitalismus um Produktions­verhältnisse handelt, die die Produzenten von den Resultaten ihrer Arbeit ausschließen. Arbeit gilt im Kapitalismus nur dann als produktiv, wenn sie jemand anderem einen Mehrwert einbringt. „Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.“ [6]

Allerdings lässt sich aus dieser Perspektive die Funktion oder Problematik unbezahlter häuslich reproduktiver Arbeit im Kapitalismus kaum bestimmen. Ein ausbeuterisches Arbeits­verhältnis kann in der Arbeitswertlehre von Marx nur am Verhältnis von notwendiger Arbeit zu Mehrarbeit ausgedrückt werden. Diese Relation lässt sich bei unbezahlter Arbeit nicht herstellen. Die durchaus kritische Kategorie der „produktiven Arbeit“ macht deshalb die meisten familiären Tätigkeiten, meist traditionelle Frauen­arbeiten, die der Reproduktion der Ware Arbeitskraft dienen, unsichtbar, insofern sie nicht wertförmig geleistet werden.

Daraus folgt die vierte These: Die Familie wird im Kommunismus produktiv. Laut Kollontai nimmt der Sowjet­kommunismus die zuvor genannten Entwicklungen der Familie im Kapitalismus als objektive geschichtliche Tendenzen auf und befreit diese aus ihren klassen­förmigen Beschränkungen durch die Verstaatlichung von Produktions­mitteln und Erziehung. Die Entgegen­setzung von produktiver und unproduktiver Arbeit bildet dabei die Grundlage für die Beurteilung der Familie im Kommunismus.

Die produktive Arbeit ist eine der zentralen Kategorien des Marxschen Denkens, die nicht nur analytische Bedeutung in der Kritik des Kapitalismus hat, sondern auch positiv den produktiven Arbeiter zum revolutionären Subjekt erklärt. Infolge dieser fragwürdigen Gleichsetzung von industrieller mit produktiver Arbeit wurden verschiedenste gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten und unterschiedlichste Arbeits­verhältnisse innerhalb des Kapitalismus unsichtbar gemacht und die daraus resultierenden Hierarchien als Neben­widerspruch abgetan. Die Befreiung der Frau ergebe sich ganz automatisch mit der Beseitigung der Klassen­gesellschaft. An Kollontais Argumentation zur Hausarbeit wird hingegen deutlich, dass es ihr nicht gelingt, reproduktive Arbeiten anders zu bewerten, als dies im Kapitalismus getan wird. Dadurch wird die kritische Kategorie bei Marx in die national­ökonomische positive Kategorie von Smith zurück­verwandelt.

Problematisch ist daran, dass es sich eben nicht nur um einen „theoretischen“ Fehler in der Analyse kapitalistischer Vergesellschaftung handelt. Die Bewertung wird zu einer fatalen Altlast, weil mit ihr eine Fortsetzung der kapitalistischen Logik unter kommunistischen Vorzeichen befürwortet wird.

Produktion, Reproduktion und Arbeitsmoral

Am schlimmsten ist daran von heute aus gesehen der Mangel einer emanzipativen Perspektive. Kollontai propagierte oder akzeptierte den revolutionären Kommunismus als die Ersetzung der Kapitalisten durch den Staat. Das Wertgesetz sollte entgegen der eigenen Absicht nicht abgeschafft, sondern im Sinne der Proletarier gerecht eingesetzt und „produktiv“ gemacht werden. Damit findet jedoch eine bereits bei Marx angelegte Umkehrung der kritischen Kategorien in positive national­ökonomische Prinzipien statt. Die Bewertungen und Abwertungen der kapitalistischen Gesellschaft werden deshalb keineswegs abgestreift, sondern teilweise noch radikalisiert. Aus dem ökonomischen Zwang zur Arbeit im Kapitalismus wird so im Kommunismus ein moralischer Imperativ. Allerdings sollten dafür die Lebens­risiken der ehemals doppelt freien Lohnarbeit durch den kommunistischen Staat aufgefangen werden. Daraus resultiert auch die Vorstellung, dass die Frau aus der familiären Abhängigkeit nur durch die Eingliederung in produktive Arbeit befreit werden könne. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber die Arbeit soll auch nützliche und produktive Tätigkeit sein.“ [7] Nicht bei allen Marxisten mag diese pietistische Arbeitsmoral so deutlich sein wie bei Bebel, der durch sein Werk Die Frau und der Sozialismus jedoch als einer der wichtigsten Impulsgeber gewertet werden muss.

Was bedeutet diese Festschreibung der Arbeit für die Struktur der Familie im Kommunismus? Wie bereits angedeutet, wurden die brutalen Wirkungen der kapitalistischen Produktionsweise auf die Familie äußerst ambivalent beurteilt, weil sie zwar die Funktionen der Familie gefährde, andererseits aber die Integration aller in den Produktions­prozess vorantreibe. [8] Die Befreiung der Frau sollte mit der Übernahme wesentlicher Funktionen der Familie durch die kommunistische Gesellschaft gewährleistet werden.

Vom Absterben zur Festigung der Familie im Kommunismus

Anhand von zwei historischen Phasen in der Entwicklung der SU lassen sich exemplarisch zwei entgegen­gesetzte Positionen zur Familie darstellen. Polemisch ließen sich die beiden Tendenzen vielleicht als „Kinder­kommune“ versus „hetero­normative Familie“ als staatsbürgerliche Sozialisations­instanz zusammenfassen.

Bereits zwischen 1917 und 1936 lassen sich erhebliche Verschiebungen in dieser Frage beobachten. Für die Frühzeit, eine revolutionär suchende Phase, in der noch vieles in der Diskussion war, kann Kollontais These vom „Absterben der Familie“ als bestimmend bezeichnet werden. Ab Ende der zwanziger Jahre findet mit der Stalinschen Politik der „Festigung der Familie“ jedoch bereits ein deutlicher Richtungs­wechsel statt. Unter diesem Slogan wurde die zuvor insgesamt liberale Familienpolitik, die sowohl Scheidung als auch Abtreibung legalisiert und vereinfacht hatte, ab 1936 grundsätzlich beendet. Mit dem Ziel der Durchsetzung einer höheren Geburtenrate wurde die „Festigung der Familie“ vorangetrieben und Abtreibung erneut verboten. Frauen ohne Kinder galten ab diesem Zeitpunkt als bemitleidenswert und zugleich unvollständig, da sie keine „gesunden sowjetischen Helden“ heranzogen.

In den bildungspolitischen Prämissen der frühsowjetischen Periode herrschte weitgehende Einigkeit über das Ziel, die erzieherischen Funktionen der Familie soweit als möglich einzuschränken und staatlichen Institutionen zu übertragen. [9] Wie sehr Kinder zu diesem Ziel jedoch tatsächlich aus der Familie heraus­genommen werden sollten, darüber herrschte von Beginn an Uneinigkeit. Auffällig ist aber, dass sich gleichzeitig mit dem politischen Programm des schnellen Aufbaus des Sozialismus durch forcierte Industrialisierung zunehmend normative Geschlechts­charaktere durchsetzten, die plötzlich die Bedeutung der Frau als Hausfrau und Mutter hervorhoben. „Den oftmals zermürbenden Debatten, in denen deutlich eine innere Zerrissenheit, die Suche nach einem Weg in die Zukunft und vor allem Probleme einer sehr heterogenen ökonomischen, sozialen gesellschaftlichen Basis klar zutage traten, wurden durch positiv-optimistische, beschönigende Leitbilder abgelöst, die allerdings keinen Raum mehr für kritische Reflexionen ließen. In diesem Kontext entstand auch das neue Weiblichkeits­ideal, in dem traditionelle Vorstellungen über den Geschlechts­charakter der Frau mit neuen Akzenten versehen wurden.“ [10] Im Unterschied zu den frühen Revolutionsjahren stand die Vereinbarkeit von Produktions- und Reproduktions­aufgaben nicht mehr auf der Tagesordnung und wurde damit wieder in die private Verantwortung der Frauen zurückverlegt. Das veränderte sich auch nach der Epoche des Stalinismus nicht.

Heim und Arbeit auch im Kommunismus getrennt

Wie lassen sich diese scheinbar entgegen­gesetzten Positionen erklären? In welchem Verhältnis standen sie zueinander? Obwohl ideologisch auch in der späten Sowjetunion an der Vergesellschaftung des Privathaushalts und der Erziehung festgehalten wurde, blieb dies in der Praxis weitgehend unrealisiert. Die Familie blieb im Realsozialismus eine Institution mit großen Ähnlichkeiten zu ihrem Gegenstück in den kapitalistischen Industrie­gesellschaften. Sie passte das Individuum zwar an die Werte der Gesellschaft an, trug gleichzeitig jedoch zu einer strukturell konservativen Abschottung gegenüber dieser Gesellschaft bei. Der Rückzug ins Private blieb analog zur klassisch bürgerlichen Werteordnung der Ort, an dem vor den Anforderungen der Gesellschaft ein Reich der Freiheit und Ruhe gesucht wurde. Ein wesentlicher Unterschied zum kapitalistischen Westen war die staatlich organisierte umfassende Kinder­betreuung, die zum erwünschten Ziel einer sehr hohen Quote erwerbstätiger Frauen erfolgreich beigetragen hat. Die alltägliche Hausarbeit blieb in den real­sozialistischen Ländern dennoch eine familiäre Frauenarbeit. Frauen wurden in die Erwerbsarbeit integriert, aber dort wie im kapitalistischen Westen schlechter bezahlt als Männer.

Insofern hat die Sowjetunion nicht die Politisierung des Privaten und der konkreten Bedingungen der Reproduktion der Gesellschaft vorangebracht, sondern die Trennung zwischen der privaten Sphäre und der Sphäre der Erwerbsarbeit eher noch verstärkt.

Die Gründe dafür sind meiner Meinung nach in der Irrationalität der real­sozialistischen Anwendung des Wertgesetzes zu suchen, die zudem von einer widerwärtigen Arbeitsmoral begleitet wurde. Die Gleichsetzung von produktiver Arbeit mit industrieller Produktion und die daraus folgende gesellschaftliche Abwertung reproduktiver Tätigkeiten reproduzierte Geschlechter- und Familien­verhältnisse, die dem propagierten Ziel menschlicher Emanzipation total widersprechen. Jeder glaubwürdige Versuch, an die Utopie von kommunistischer Vergesellschaftung wieder anzuknüpfen, sollte folglich daran gemessen werden, ob die zuvor dargestellten historisch-real­sozialistischen „Altlasten“ und ihre theoretischen Grundlagen bei Marx in Frage gestellt werden. Das würde unter anderem bedeuten, die Arbeits­wertlehre bei Marx dafür zu kritisieren, dass Ausbeutungs- und Hierarchie­verhältnisse nur bei bezahlter und damit auch quantifizierbarer Arbeit festgestellt werden können und damit eine national­ökonomische Perspektive reproduziert wird. Dazu gehört auch, die implizite Gleichsetzung von produktiver Arbeit, industrieller Arbeit und gesellschaftlich nützlicher Arbeit bei Marx zu verwerfen, bedeutet sie doch zugleich die strukturelle Abwertung von Arbeit, die sich nicht rationalisieren bzw. maschinisieren lässt. Die für den Kapitalismus typische Doppel­belastung der Frau durch Erwerbsarbeit und Hausarbeit war im historischen Real­sozialismus auch ein verbreiteter „Neben­widerspruch“, weil die Bewertung von „produktiver Arbeit“ nicht kritisiert und damit die Entgegen­setzung von Produktion und Reproduktion fortgeschrieben wurde.

Mit und gegen Marx gesprochen, wäre potenziell jeder Mensch in einer befreiten Gesellschaft morgens ein Dichter oder Langschläfer, machte mittags den Abwasch für die Hausküche, brächte die Kinder zur Tagesgruppe und schraubte später noch Fahrräder oder Computer zusammen. Ob das dann eine kommunistische Familie ist und wie Liebes­beziehungen mit Arbeits- und Wohn­zusammenhängen, sozialer Elternschaft und der Versorgung von pflege­bedürftigen alten Menschen miteinander verknüpft sind, gelte es grundsätzlich und alltäglich, konkret in einer befreiten Gesellschaft auszuhandeln.

Von Felicita Reuschling. Die Autorin ist selbstständige Kunstpädagogin und Kuratorin und lebt in Berlin.

Familie im Kommunismus – Zur Abwertung reproduktiver Arbeit und der Fortschreibung kapitalistischer Geschlechterarrangements in der Sowjetunion, PHASE 2 – Zeitschrift gegen die Realität

Fußnoten

  1. Wladimir I. Lenin, Über die Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung. Rede auf der IV. Konferenz parteiloser Arbeiterinnen der Stadt Moskau 23. September 1919, in: Ders., Werke, Bd. 30, 6. Aufl., Berlin 1979, 23-29.
  2. Alexandra Kollontai, Communism and the Family, in: Selected Writings of Alexandra Kollontai. New York 1977.
  3. Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: Marx/Engels, Ausgewählte Schriften Bd. 2, Berlin 1971.
  4. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1974, S. 272 f.
  5. Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1863/resultate/index.htm
  6. Ders., Das Kapital, Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 23, 532.
  7. August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Berlin 1923, 374.
  8. Vgl. MEW 23, 184.
  9. Nikolai Bucharin, Das ABC des Kommunismus. Populäre Erläuterungen des Programms der kommunistischen Partei Russlands, Hamburg 1923.
  10. Carmen Scheide, Kinder, Küche, Kommunismus, Zürich 2002, 174.