Die benachteiligte Revolution – Der Feminismus im Marxismus

Ein Beitrag von Michail Savvakis vom 11. Mai 2020

Zwei Grundparadoxa des Feminismus

Man kann auf einer Weltkarte leicht die Länder ausmachen, in welchen der Feminismus das politische Leben mitgestaltet. Ich denke, es ist überflüssig, den Kulturkreis näher zu identifizieren; es dürfte jedem klar sein, daß es sich dabei um die Kulturgebiete jenes allenthalben rituell bescholtenen „alten weißen Mannes“ handelt. Der Feminismus konnte sich nahezu ausschließlich im westlichen „Patriarchat“ effizient etablieren. Warum nur?

Weil der Mann es dort zuließ. Noch mehr als das: Er prägte ihn von seinen Anfängen an entscheidend mit und förderte ihn besonders seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts nach Kräften. Der Blick auf die Weltkarte macht nämlich auch deutlich, daß, wo diese Förderung ausblieb, oder wo der Feminismus gar vom Mann als etwas Widriges angesehen wurde – wie etwa in den islamischen Kultur­gebieten –, er sich kaum entfalten konnte oder gänzlich unterblieb.

Doch dieser augenfällige Befund stellt uns vor gleich zwei Paradoxa:

Das erste provoziert mit der Frage, ob die „Emanzipation der Frau“ auch eine Errungenschaft der Frau ist, wenn sie doch nur unter Einwilligung des Mannes möglich ist, der Instanz also, von welcher sich das Emanzipations­subjekt Frau emanzipieren soll. Das zweite Paradoxon besteht in der Aporie, wie es sein kann, daß der durch den Mann geförderte und durch ihn etablierte Feminismus des Westens ausgerechnet jenen Förderer seiner Sache, den „alten weißen Mann“ zum erklärten Haßobjekt erkor, und das zu einer Zeit, in der man daselbst – durch die hohen Immigrations­raten aus feminismus­abholden Kulturen – täglich Zeuge der in diesen noch herrschenden Frauen­deklassierung und -unterdrückung wird.

Dem Autor ist bisher bezüglich dieser Widersprüche kein ernstzunehmender Erklärungs­versuch aus feministischer oder anderer Seite bekannt. Und eine Untersuchung in eigener Initiative läßt die Frage aufkommen, ob sich der heutige Feminismus auch wirklich mit seiner primären Zielvorgabe, die Befreiung der Frau, identifiziert.

Die spontane Ja-Reaktion auf diese Frage ist gewiß richtig, soweit man ihn, den Feminismus, isoliert von seinem kultur­geschichtlichen Umfeld, dem Neo- oder Kultur­marxismus betrachtet. Und die eben genannte Strömung kann nur durch die Einbeziehung einer Institution genauer charakterisiert werden, die sich Institut für Sozialforschung benannte und heute geläufig als Frankfurter Schule bekannt ist. Bei diesem Institut fand sich eine Gruppe von Soziologen zusammen, um (lt. Wikipedia) die von Karl Marx formulierten Gedanken „daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie zur Analyse von sozialen Verhältnissen geeignet seien, wie sie zu Marx’ Lebzeiten noch nicht bestanden hatten.“

Warum die Gedanken eines Menschen zur Analyse von sozialen Verhältnissen herangezogen werden sollten, die einst für ganz andere „Lebzeiten“ und soziale Verhältnisse gedacht worden waren, ist – nebenbei gesagt – eine interessante Frage, die uns aber hier nicht vordergründig beschäftigen soll.

Was nun den Gegenwartsfeminismus betrifft, wird auch der mäßig Bewanderte wissen, daß dieser in seinem politischen Format und Umfang eine 68er Bescherung ist, also eine Hinter­lassenschaft jener Bewegung aus dem gleichnamigen Jahr, die im Geiste der eben angeführten Frankfurter Schule gewirkt hatte.

Und der Geist der Frankfurter Schule sah in der sogenannten Frauen­befreiung keineswegs ein eigenständiges Ziel, sondern den strategischen Vorspann eines umfassenderen Projekts. Die „Befreiung der Frau“ sollte nur einen Erstangriff auf die Institutionen „der patriarchalischen Zivilisation… des Kapitalismus“ von innen her starten. Die Befreiung der Frau wurde zwar als das vorrangige Ziel des Feminismus bekannt, aber ein bloß „immanentes“, also eine Maßnahme noch innerhalb des Kapitalismus zum Zwecke einer Destabilisierung desselben. Seine gänzliche Aufhebung jedoch, das primäre Ziel des Neomarxismus, würde der Feminismus nicht liefern können. Die endgültige „Umwälzung der ausbeuterischen und repressiven Werte der patriarchalischen Zivilisation, die Negation ihrer aggressiven Produktivität, … muß ihre Wurzeln in den Männern und Frauen haben, die die neuen Institutionen errichten.“ Das heißt: Erst einmal sollten die kapitalistischen Institutionen destabilisiert werden, wobei der Feminismus ein brauchbares Instrument bot, und danach sollten die neuen Institutionen durch beide Geschlechter (damals zählten auch die Linken nur zwei) errichtet werden. In dieser letzteren Phase fände nun auch der Feminismus sein weiteres, „transzendierendes“, also nicht bloß „immanentes“ Ziel (Zitiertes aus Herbert Marcuses „Marxismus und Feminismus“, Frankfurt, 1987).

Die Befreiung also der Frau, bzw. was die linken Feministinnen der ersten Stunde darunter verstanden, war zwar das primäre Ziel ihres Bestrebens, nur war ihr Bestreben keinesfalls die primäre Absicht der Linken. Und diese litten schon lange zuvor an einem Trauma, dessen Aufarbeitung die Frankfurter Schule im Sinn hatte: Ihnen war nämlich das Proletariat, der herbei­phantasierte Muster­schüler und Fahnen­träger der kommunistischen Grundschule, abhanden gekommen, es hatte sich als Chimäre und fixe Idee ihres Chef-Philosophen und Menschen­verkenners Marx erwiesen. Denn spätestens im Ersten Weltkrieg war den Marxisten offensichtlich geworden, daß die revolutionären Pläne ihres Vielschreibers kein revolutionäres Subjekt hatten!

Die „Proletarier aller Länder“ nämlich waren im großen Krieg verduftet, bzw. Seit‘ an Seit‘ mit allen anderen sozialen Schichten jeweils ihres Landes für dieses angetreten. Die nationale Identität erwies sich somit als verbindlicher als die bis dahin so vielversprechende Klassen­identität. Das Marx-Projekt erlitt Zusammenbruch!

Revolutionäres Subjekt gesucht

Seither plagen sich die Linken viel mit Identitäten herum. Sie erfinden welche, andere wiederum verdünnen sie oder erklären sie zum „Mythos“, pflanzen gerne manche um oder dekonstruieren sie kurzerhand, besonders die von Mann und Frau, und im Angedenken ihrer ersten Schlappe hassen sie am liebsten nationale und kulturelle Identitäten – außer solche, die besonders toxisch auf die allerverhaßteste aller Identitäten und Kulturen wirken: auf die Identität und Kultur des „alten weißen Mannes“. Man könnte meinen, der Spätmarxismus verbringt heute seine schönste Zeit in einer hübschen Baumschule für Identitäten und widmet sich dort mit Hingabe ihren Wachstums­störungen.

Denn er braucht dringend revolutionäre Subjekte. Doch die mühselige Zucht will nicht so recht gedeihen: Mehrere Dutzend Geschlechter schon hochgezogen, und was läuft da auf den Straßen herum? Was füllt die Züge, die Säle, die Parks, die Arenen, die Fernseh­studios und selbst den Bundestag? Lediglich „Damen und Herren“, Männer und Frauen – verflixt aber auch!

Die Frauen

Nun, Frauen als revolutionäres Subjekt waren für die „Immanenz“ wahrlich nicht übel, wenn auch nicht der Bringer. Bereits der Altvordere Engels hatte der Frau eine gewisse Tragfähigkeit diesbezüglich bescheinigt, als er sie zur Repräsentantin des Proletariats in der Familien­struktur stilisierte – der Mann bedeutete den Bourgeois. Und in der Tat ließ sich manches mit dem „zweiten Geschlecht“ anstellen:

  1. Die Familie, Keimzelle der westlichen Gesellschaften, geht heute, vierzig Jahre nach den ersten Novellierungen des Familien­rechts und ein wenig auch mit Hilfe der Antibaby-Pille und der Abtreibungs­praxis auf Krücken. Das demographische Defizit mit seinen umfassenden Resultaten ist Folge davon.
  2. Die moralische Denunzierung des Männlichen wurde als eine feste politisch-korrekte Einstellung etabliert, welche männliche Stärken und Eigenschaften in Kultur und Alltag desavouierte und, bis in die Bildungs­strukturen hinein wirkend, das Ansehen männlich dominierter Wissensfächer, die gerade für moderne Gesellschaften so eminent sind, negierte. Eine männliche Sozialisation wurde bei Jungen unterbunden; junge deutsche Männer zeigen sich heute – vor allem im westlichen politisch korrekteren Teil des Landes – gegenüber Aggressoren aus tribalistischen Gewalt­kulturen untauglich dazu, sich selbst oder ihre Begleitpersonen zu verteidigen. Sie werden bei nahezu jeder Hand­greiflichkeit zu Opfern.
  3. Die westlichen Legislativen, allen voran die Westeuropas, agieren notorisch wie Schaltstellen der Gefühligkeit, wie wahnhafte Zentralen einer selbst­zerstörerischen Weltphilanthropie mit Errettungs­phantasien des Umfangs Urbi et orbi; mit numinosen „Werten“, denen gegenüber Volksinteressen wie ein Frevel anmuten, und mit einem „freundlichen Gesicht“, das, als Maske rechtschaffener Erhabenheit geschminkt, sich dem Rest der Welt penetrant anbiedert.
  4. Die Sicherheitsapparate für innen wie außen wurden quotenhalber verweiblicht, um proportional dazu an Effizienz, Achtung und Ansehen einzubüßen. Die Streitkräfte werden, oft von filigranen alternden Chefinnen geführt, mit Gender­maßregelung und Schwangerschaftsbedarf verfremdet, während Ausrüstung und Einsatz­fähigkeit Bruch erleiden.
  5. Sprache und Schrift wurden einer sinnfreien Silben- und Wort­klauberei und einer grotesken Semiotik unterworfen, die mit schrulligen Sonderzeichen mitten im Wort begriffliche Baracken in die Textlandschaft setzt, um der moralistischen Obsession einer „Gender­gerechtigkeit“ gerecht zu sein.

Aber das alles ist zwar hübsch destruktiv, jedoch nicht die Revolution an sich. Wie sprach Herr Marcuse über die „Umwälzung der ausbeuterischen und repressiven Werte der patriarchalischen Zivilisation“: Sie „muß ihre Wurzeln in den Männern und Frauen haben, die die neuen Institutionen errichten.“ Ja, auch Marcuse wußte: Man braucht immer Männer, um etwas Robustes zu „errichten“. Das gilt nicht nur für Hochbau und Schienen­verlegen, sondern auch für alle Arten von Umwälzungen und Revolutionen. Es ist nun mal und leider Göttin so, ihr Töchter des Aufbegehrens. Selbst der Feminismus wäre ohne den Mann eine Totgeburt (siehe oben). – Also Männer mußten ran.

Aber die Weicheier vom Punkt 2, die in Wohlstands-Apathie ihren Alltag abwickeln, um sich abends mit TV-Fußball, erzieherischen Krimis und Flasche in greifbarer Nähe in den Schlaf – auch den politischen – wiegen zu lassen? Die mit dem Komfort „der ausbeuterischen und repressiven Werte der patriarchalischen Zivilisation“ und ihrer „aggressiven Produktivität“ selig Verschmolzenen, die ihren nächsten Urlaub ins exotische Archipel planen und den größeren Full-HD-Screen gleich mit? Die? Als revolutionäres Subjekt?

Die richtigen Männer

Nein, es waren bessere da! Allmählich nämlich bereicherten die Richtigen das Land. Man hört oder liest heute viel über diese „Männer“ oder „Gruppen von Männern“, oft auch als „Jugendliche“ identifiziert. Zumeist in Nachrichten über sogenannte „Einzelfälle“, deren Häufigkeit allerdings diese Bezeichnung längst überfordert. Weitere Angaben zur Identifizierung des kulturellen Umfelds dieser „Männer“ gelten als politisch heikel, weswegen sie meist ausbleiben. Die „Männer“ besiedeln dieses Land nun schon seit über einem halben Jahrhundert. Zunächst eigentlich als vorübergehende Miteinwohner, als „Gastarbeiter“ aus orientalischen Kultur­gefilden oder als „Flüchtlinge“ aus prekären stock­autoritären Gesellschaften, in denen das Individuum nur als Teil der nächstgrößeren Einheit, meistens der Sippe oder Großfamilie gilt. Sympathisch zurückhaltende, nahezu demütige Menschen waren das zu Beginn, eine gefühlsdominierte Verbundenheit unter sich aufweisend. Man könnte so eigentlich früh genug die diametrale Gegensätzlichkeit zu dem inzwischen hoch­individualisierten westlichen, von seinem Herkunftsmilieu schon in jungen Jahren entbundenen und sich selbst führenden Verstandes­menschen problematisieren. Man könnte.

Je zahlreicher nun die Sympathisch-Demütigen aus dem Orient wurden – denn die einst als Gastarbeiter angekommenen blieben im Lande, vermehrten sich und immer weitere kamen hinzu –, desto mehr entwickelte sich unter Ihnen ein auf Renitenz basierendes Selbstbewußtsein, das den westlichen Individualismus als Schwäche, wenn nicht sogar Sünde, und das eigene rückständige Anhaften am Herkommen und Herkömmlichen als moralische Glanzleistung, als „Ehre“ ausgab.

Die allmählich problematisch werdende Symbiose ist auf diesen Seiten schon einmal psychologisch angenähert worden, und auch die Gründe der „Diskrepanz dieser beiden Welten“ wurden beleuchtet:1 Die Ankömmlinge fanden sich plötzlich in einer Gesellschaft wieder, die ihre Individuen als freiheits­fähige und autonome Monaden behandelt, „sie bejaht und ermächtigt!“, während ihre Herkunfts­gesellschaften das Individuum und somit diese Menschen selbst vollumfänglich reglementierten. Das wiederum greift das Selbstwert­gefühl der eingewanderten Menschen „auf verstörende Weise“ an. Die Flucht in einen verstiegenen Ehrenbegriff, der nicht nur notorisch referiert wird, sondern gar oft als Motiv dramatischer Handlungen diente, kann somit auch als Kompensation dieser Kränkung angesehen werden.

Und wo das Bildungs- und Intelligenz­niveau nicht ausreicht, um befriedende Selbstreflexion in der fremden Gesellschaft zu ermöglichen, wird der Rückzug in das Alte angetreten, und so re-fundamentalisierten sich mit der Zeit viele dieser Einwanderer ausgerechnet späterer, im Gastland geborener und aufgewachsener Generationen im Sinne ihrer demokratiefernen, anti­freiheitlichen und menschen­unterwerfenden Theokratie. Die Politik des „freundlichen Gesichts“ ließ zudem besonders in der Zeit nach 2015 islamische Terror-Fundamentalisten als „schutzsuchende Flüchtlinge“ nach Europa einsickern. Tausende sogenannter Gefährder kamen seither nach Europa.

Diese extremen Träger ihres Fundamentalismus beschrieb einst der damalige französische Präsident Hollande anläßlich eines verheerenden terroristischen Attentats in der französischen Hauptstadt mit den Worten: „Sie sind eine Aggression gegen unser Land, unsere Werte, unsere Jugend und unseren Lebensstil“.2 Das stimmt!

Kann sich der Leser vorstellen, warum ausgerechnet der Kulturkreis, aus welchem sich diese Feindschaft rekrutiert, auch derjenige ist, dem sich die Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte ihr ganzes Herz gewidmet hat? Kann der Grund sein, daß diese Migrantengruppe wie keine andere so genuin wie dezidiert mit der westlichen säkularen und emanzipatorischen Gesellschaft, also mit Marcuses „ausbeuterischen und repressiven… patriarchalischen Zivilisation“ des Westens kollidiert? Der urkommunistische französische Denker Alain Badiou brachte es unlängst mit Worten auf den Punkt, die zugleich seine innige Hoffnung eines dritten Auflebens des Kommunismus ausdrücken. Zitat: „Das Proletariat der Nomaden hat es immer gegeben. Früher kamen sie vom Land und zogen in die Stadt. Heute kommen sie aus Afrika.“3

Doch es ging hier um den Feminismus, und zu ihm kehren wir jetzt zurück:

Die Auswirkungen nämlich der Aversion dieser Immigranten auch gegen die „starke emanzipierte Frau“ des Westens, werden häufig thematisiert – soweit es zumindest die politische Korrektheit zuläßt. Zum einen wird um die Reglementierung des weiblichen Betragens in der Kultur der Eingewanderten diskutiert, also Erscheinungs­vorschriften wie Kopftuch, Verschleierung, ebenso die Geschlechter­trennung in muslimischen Zusammenkünften, die Zwangsheirat oder die Dienstbarkeit der Frau in der Ehe – auch das Recht des muslimischen Mannes auf mehrere Ehefrauen gehört dazu. Ferner ist Teil dieser Thematik die ablehnende Haltung muslimischer Schul­pflichtiger und ihrer Eltern gegenüber Teilen des Schulunterrichts wie dem gemeinsamen Schwimmunterricht oder der von feministischer bzw. geschlechter­politischer Seite initiierten Gender- und Sexual­aufklärung.4 Des weiteren sind die kriminellen Angriffe gegen Frauen in Fällen von Gewalt und Vergewaltigung oder Ehren- und Beziehungs­morden, oft einer befremdlich brutalen Art, ein breiteres Diskussions­thema (von der sonstigen Straftaten­dichte desselben Kulturkreises abgesehen).

Wir stehen also im Phänomen, wo eine von den Linken hochersehnte und unter dem Label „Multikulturelle Vielfalt“ herbeigeführte Bevölkerungs­struktur, welche, gepaart mit dem Feminismus einen subversiven Komplex gegen die westliche Gesellschafts­ordnung bilden sollte, nun die innewohnende Brüchigkeit dieses Konzepts preisgeben muß, seine Unvereinbarkeit mit dem hochgehaltenen Ziel der Befreiung der Frau von der männlichen Dominanz oder was im Westen als solche angesehen wurde.

Nützlichkeit als Konvention (Utilitarismus)

Ich betonte eben das Wort „muß“. Warum müssen linke Gesellschafts­modelle früher oder später Bruch und Insolvenz erleiden? Der Grund ist, daß linke Ideologen die von ihnen ausgehenden Kolportagen und Bewegungen nicht aufgrund dieser selbst initiieren und aktivieren. Nicht also, weil diese Bestrebungen einer eigenen Zweckmäßigkeit oder eines ihnen inne­wohnenden Wertes wegen angefacht werden, sondern weil und nur insofern diese dem Ziele des letztendlich angestrebten gesellschaftlichen Umsturzes dienen. Das notorische Moralisieren ihrer Anliegen dient diesen Ideologen lediglich der Rechtfertigung dieser und der Verblendung jener, die sich dann leichtgläubig als Mitläufer hergeben. „Wenn linke Atheisten christliche Werte anmahnen“, heißt es nicht umsonst an anderer Stelle, „muß kein Schelm sein, wer Böses dabei denkt.“

Und der Entwurf ist dabei stets gleich: Es wird eine „benachteiligte“ Gruppe als revolutionärer Gegenstand bzw. Anlaß ausgemacht (etwa der Nachwuchs bildungsferner Familien an Schulen, morgen­ländische Desperados mit „Schutzsuchenden“-Status auf Flüchtlings­routen, aber auch arbeitende Mütter, Frauen im Fußball oder in Teilzeitjobs usw). Oder es werden allgemeine dramatisierte Zustände (Ozonloch, Waldsterben, Erderwärmung, Stickoxide) herangezogen. Dann werden – übrigens immer die gleichen – „Schuldigen“ ausgemacht: Männer, Industrien, Kolonial­vergangenheiten; das macht dann zusammen = Alter weißer Mann. Damit ist schonmal eine Spaltung der Bevölkerung geglückt, und zwar eine solche, bei welcher die Gesellschaft ausgerechnet gegen die Schöpfer ihres Wohlstands aufgehetzt wird! Doch das ist nur der erste, nach Marcuse „immanente“ Teil der Umwälzung, die halbe Miete.

Es folgen die Maßnahmen, die da gerne heißen „Gleichstellung“, „Förderung“ oder gar „Rettung“, beflaggt mit „Toleranz“, „Humanität“, „Weltoffenheit“ usw. Betrachtet man nun deren lang­fristigere Wirkung, so stellt man ausnahmslos fest, daß sie der Schwächung oder gar Beschädigung eines jeweiligen gesellschaftlichen Segments dient! Diese Wirkungen je nach Gebiet zu explizieren, würde sicherlich einen gesonderten Artikel füllen; es dürfte deswegen hier genügen, stichwort­artige Bezüge herzustellen, die solche Gutmenschen­ziele wie etwa Inklusion, Offene Grenzen oder Klima­rettung gleich mit ihrem problematischen Verhältnis zu den jeweiligen Gebieten Bildung, soziale Ordnung und innere Sicherheit oder Industrie assoziieren; zu wichtigen Säulen also des gesellschaftlichen Gefüges jenes verhaßten alten weißen Gottseibeiuns.

Nur gelegentlich rutschen Verlautbarungen heraus, die das wahre Ziel hinter der falschen Moral verraten: Etwa wenn ein bekannter linker Politologe, Publizist und Professor in den abendlichen „Tagesthemen“ die ausufernde Migrations­politik der letzten Jahre als das beschreibt, was sie ist, nämlich ein ungewisses und „historisch einzigartiges Experiment … eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multi­ethnische zu verwandeln.“5 Oder wenn ein ebenfalls linker Politiker den Vorstoß der Regierung, Kindertages­stätten auszubauen, als eine Politik deklariert, die in ihrer wahren Intention nicht etwa Eltern unter die Arme greifen, sondern „die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“6 will. Oder eben wenn Prof. Marcuse klipp und klar doziert, daß eigentlich der Umsturz „der ausbeuterischen und repressiven Werte der patriarchalischen Zivilisation“ das höhere, „transzendierende“ Ziel des Feminismus ist!

Dadurch nun, daß man so diverse Mittel und Maßnahmen zum selben Ziel (Aufhebung der kulturell-gesellschaftlichen Kontinuität der westlichen Zivilisation) einsetzt, und diese nur hinsichtlich ihrer Tauglichkeit diesem Ziel gegenüber ermißt, entfällt jede Fokussierung auf die Verträglichkeit und Kompatibilität dieser Maßnahmen untereinander. Das nun erzeugt jene Inkonsistenz in den links­ideologischen Entwürfen, die am Ende das eigene Debakel herbeiführt, ja, herbeiführen muß.

Die innere Brüchigkeit eines solchen Sammelsuriums greift heute den westlichen Feminismus schwer an. Zwar nicht den behördlichen – versteht sich. Dieser wird sogar rabiater denn je eingesetzt: Frauen­quotierung wohin das Auge reicht, weibliche Namen für Straßen und öffentlichen Stätten, Paritäts­gebote für Parlamente und Kommissionen… Ähnlich wie die Kirchen heute nahezu ausschließlich auf das karitative Element setzen, weil sie spirituell erloschen sind, so setzt auch der Polit­feminismus exzessiv auf die administrative Aufstockung weiblicher Präsenz, weil er in Symbiose mit dem Multi­kulturalismus sein hehres Versprechen an die Frauen, männergleich leben zu dürfen und zu können, bei der neuen Bevölkerungs­struktur begraben muß.

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So hat sich die Frauenbewegung in zwei Lager gespalten. Ironischerweise dürfen wir zur Charakterisierung dieser Lager die uns nun geläufigen Begriffe Marcuses gebrauchen: Der „transzendierende“ Feminismus, jener also, der sich die Zerschlagung des „kapitalistischen Systems“ als oberstes Ziel setzt, verletzt den „immanenten“ Feminismus, also jenen, dessen Motiv die Ermächtigung – mittlerweile Privilegierung – der Frau und ihr Schutz vor dem Mann war und ist.

Recht groteske Bilder erzeugt dieser letztere, inzwischen auch Altfeminismus genannte 68er-Feminismus dort, wo etwa seine prominenteste Vertreterin, Schwarzer, sich mit Kopftuch-Feministinnen (man nennt sie wirklich so) peinlich plagen muß7, oder wo sie sich von der Kölner Polizei belehren lassen muß, daß die Benennung der Herkunft von Vergewaltigern und Frauen­schlägern als rassistisch gelte, oder wo sie – von den „transzendierenden“ Feministinnen im Geleit orientalischer Kopftuchfrauen – selbst als Rassistin an den Pranger gestellt wird, weil sie die religiös motivierte Kopfbedeckung bekämpft.

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Schadenfreude? Nun, auch Antifeministen sind nur Menschen. Dennoch: Die Schadenfreude darüber, daß sich die „linke Intellektuelle“ (so nannte sie sich häufig selbst) in der Falle wiederfindet, die ihr der linke Intellektualismus gestellt hatte, hält sich in Grenzen. Sie übersteigt jedenfalls an Ausmaß nicht das Mitleid, das ihr heute unsererseits gilt. Hätte sie nur, die linke Intellektuelle, jene Büchse eingehender inspiziert, die Pandora damals ihren Mit68ern feixend übergab… Doch Intellektualität und Intelligenz haben zwar einen gemeinsamen Stamm, aber das wars dann auch schon.

Es ist in der Tat – wir haben es vorhin referiert – nicht das Vermögen linker Intellektueller ins Innere der Dinge und der Phänomene zu schauen und so ihre Programme im voraus nach Konsistenz abzuklopfen. Könnten sie das, wäre der Menschheit vieles erspart geblieben. In der Acht­und­sechziger-Büchse krabbelte nämlich eine morbid heterogene Belegschaft von lauter Unvereinbarkeiten, die schon in ihrem Behälter einander blutig bissen. Feminismus und Multi­kulturalismus waren zwei der Kobolde jener links-materialistischen Fauna. Lustvoll, aggressiv und feierlich wurde damals die Kiste geöffnet. Und „nun sind sie halt da!“

Die einzigen Frauen, die heute die importierte Herabsetzung der Frau und die reelle Gewalt gegen sie ansprechen und anprangern, und die sich übrigens um das Label „Feministin“ kaum scheren, sind keine links-intellektuelle, sondern wach-konservative Frauen. „Populistinnen“, sagt der Linke dazu. Dann sei es so. Populisten heißen ja ohnehin alldiejenigen, die die wahren Zielsetzungen hinter der Pseudo­humanität in linken Trickkisten erkennen und enttarnen. Und das ist nicht intellektuell, sondern einfach gescheit.

PS: Hier ein im Jahr 2012 an Schwarzer gerichtetes Schreiben. Unbeantwortet.

Quelle:
Die benachteiligte Revolution – Der Feminismus im Marxismus, geistsein.de am 11. Mai 2020


Anmerkungen:

1. Europa in der Gratwanderung zwischen Individuation und Selbstauflösung und die Stunde der Patrioten, geistsein.de am 1. Januar 2015
2. Holland erklärt IS den Krieg, Die Welt am 17. November 2015
3. Das dritte Leben des Kommunismus, F.A.Z. am 5. April 2020
4. Islam-Verbände wollen nicht über Homosexualität reden, Junge Freiheit am 20. Februar 2019
5. Yascha Mounk in den Tagesthemen vom 20. Februar 2018 – YouTube, Auszug bei Danisch
6. Lufthoheit über Kinderbetten, Die Welt am 10. November 2002
7. „Streit zwischen Alice Schwarzer und Musliminnen eskaliert“, Bild-TV am 13. Mai 2019 – YouTube