Die heilige Kirche des Feminismus

Baumbaron stellt die „Glaubenssätze“ der heiligen Kirche des Feminismus dar:[1]

Die heilige Kirche des Feminismus (hier vertreten durch Schick) definiert sich folgendermaßen:

  1. Unfehlbarkeit
  2. Die Etablierung einer Priesterklasse
  3. Die Etablierung einer Verhaltens- und Sprachnorm
  4. Die Verehrung von Heiligen und Märtyrern
  5. Behauptung Opfer zu sein
  6. Die Verfolgung von Ketzern

Und Rowling ist eine der vielen Ketzer; Verbrennung folgt!

Die Ähnlichkeit des Feminismus zur Religion wurde bereits in mehreren Artikeln abgehandelt:

Die obige Zusammenfassung finde ich trotzdem ganz schön, weil sie einen gewissen Prozess der Etablierung und „Sesshaft­werdung“ andeutet.

Der intersektionale Feminismus arbeitet stark mit der Errichtung von Tabus und der Verfolgung von Ketzern. Dadurch, dass man entweder für ihn oder gegen ihn ist bewirkt er eine starke Spaltung. Je mehr er sich aber durchsetzt, desto wichtiger ist es auch dazuzugehören und es richtig zu machen. Und um so attraktiver wird die Position des Priesters. Ist man erst einmal drin und hat genug Umfeld aus dem Bereich, dann muss man auch insbesondere aufpassen, kein Ketzer zu werden.

Die Hohepriesterinnen des intersektionalen Feminismus werden zur Inquisition. Sie nehmen sich heraus, zu definieren, was Gewalt und Verbrechen ist. Bei einer Geisteshaltung, in der „falsches Anblicken“ sexuelle Belästigung ist, „Schubsen“ mit häuslicher Gewalt gleichgesetzt wird und betrunkener, konsensueller Sex nachträglich zur Vergewaltigung wird, ist das Gleichsetzen von Angriffskriegen und Kriegsverbrechen mit der Aussage, dass Transfrauen keine echten Frauen sind, nur konsequent.[2]

Feminismus als Kult und Erlösungsreligion

Die feministische Seite, bei der man immer wieder leicht zweifelt, ob sie nicht doch eine Parodie ist, weil sie Artikel bringt, die eigentlich niemand ernst nehmen meinen kann, hat wieder einen Artikel gebracht, der wunderbar veranschaulicht, wie nahe der intersektionale Feminismus an einer Sekte ist:

I often joke with people that feminism has been like a born-again religion for me – that once I found it and let it into my life, my entire perspective shifted in such a way that suddenly, everything made sense – and that I feel compelled to spread that gospel.

See, because when I first started discovering feminism, I realized how many of the bad things that have happened in my life, big and small, have been part of a larger social system. And coming to understand that it was never my fault or about me individually gave me space to start an immense healing process.

And when intersectional feminism found its way into my life, I was even more enamored: Not only did feminism explain what had gone wrong in my own life and the lives of other women, but it explained essentially every awful thing in the world.

Damn, that’s powerful.[3]

Feminsmus hat ihr deutlich gemacht, dass nichts, was ihr in ihrem Leben schlechtes passiert ist, ihr Fehler war. Das System ist an allem schuld. Und das System ist auch an allem anderen schuld, was in der Welt schlecht ist. Nicht sie. Auf keinen Fall hat irgendetwas mit ihr zu tun.

Das ist wirklich ein erlösender Gedanke.

I often encounter people who ask me and others, though, what the point of feminism is – how it’s still relevant, why it matters. And it’s easy enough to name broader accomplishments of the movement, like the right to vote and abortion access, as ways in which it affects my life, but what about the day-to-day?

Because feminism isn’t only present in my life when I’m filling out a ballot or waiting for my birth control prescription. Feminism has colored every single thought and action that passes through me in a day. Feminism has changed how I see myself and others. Feminism has rebooted my entire being.

Feminism is my operating system.[3]

Feminismus ist der Frame, unter dem sie alles sieht. Und alles ist Unterdrückung, nichts ist ihre Verantwortung. Wenn man das erst einmal akzeptiert, dann kann das sicherlich Erlösung bringen. Man ist von aller Verantwortung befreit und kann sich an einem Sündenbock abarbeiten. Man muss nur eben alles unter diesem Gesichtspunkt sehen. Und bloß nicht die böse Realität hereinlassen. Denn dann ist es aus mit dem Seelenheil. Dann muss man sich plötzlich an die eigene Nase fassen. Welch schrecklicher Gedanke.

And I think that that matters, too. The name of the site is Everyday Feminism, after all.

Of course, my own experience with how feminism has changed my life in small ways is influenced by my social location. As a white, queer, able-bodied, neuroatypical, middle class, educated, cisgender woman, my relationship with feminism exists in a particular space, mostly of privilege – but I can only speak from that space.[3]

Ich glaube auch das ist Befreiung – seine Sünden eingestehen, für die man nichts kann und Buße ankündigen. Aber auch nichts so richtig. Mehr einfach den Kampf führen gegen die eigentlichen Feinde, das Patriarchat, dass alle anderen Unterdrückungen hervorbringt. Der weiße heterosexuelle Mann ist der Schurke. Er muss gestoppt werden. Die weiße heterosexuelle Frau auch, aber sie ist ja auch irgendwie nur deswegen dabei, weil sie in dem System des Mannes verstrickt ist. Nur über ihn kann man das System auflösen. Und dort kann man ehrenhaft kämpfen. Und man kann deutlich machen, wie wenig man selbst das System stützt in dem man zeigt, wo andere es noch besser bekämpfen können.

Alles Böse ist erklärt. Und zwar mit einem ganz einfachen Feindbild. Aber auch keinem richtigen. Selbst den Feind will man ja eigentlich nur gutes, wenn er endlich aufhört der Feind zu sein.

Man arbeitet an der Weltenrettung.

Das Ausblenden der Unlogik im radikalen Feminismus als Costly Signal

Fefe hat einen interessanten Ansatz dargestellt, warum eine Ideologie mit einer starken Identitäts­politik schnell ins Extreme abdriftet.[4] Er nimmt dabei auf den Artikel The Toxoplasma Of Rage Bezug.[5]

Die wesentliche These ist, dass man extremer werden muss, wenn man in solch einer Ideologie die Gruppen­zugehörigkeit demonstrieren will, weil man seine Loyalität mit normalen Verhalten nicht hinreichend darstellen kann.

Fefe dazu:

Dann geht die Argumentation weiter über Vergewaltigungs­fälle. Von denen Fällen, die in den Medien groß aufgebauscht wurden, weil Feministen aufsprangen und die Story viral machten, haben sich krass überproportional viele als falsche Anschuldigungen herausgestellt. Feministen greifen sich also extra die am offensichtlichsten schwachen Fälle raus und springen auf die auf, um ihre These zu verbreiten, dass es egal ist, wie schwach der Fall aussieht, wichtig ist nur, dass das Opfer sich als Opfer wahrnimmt. Der Effekt ist wie bei PETA. Viel Kontroverse und am Ende haben die Feministen ihren Thesen mehr Schaden zugefügt als neue Anhänger gewonnen. Warum machen die Feministen das?

Seine These ist, dass Menschen ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen signalisieren wollen. Dazu gehört, die moralischen Werte der Gruppe zu vertreten. Wenn man jetzt den moralischen Wert „Tiere sollten gut behandelt werden“ bei einem Fall von offensichtlicher Tierquälerei vertritt, dann gucken sich die Passanten das an und sagen: ja, klarer Fall von Tierquälerei, das muss beendet werden. Als Signal für die Gruppen­zugehörigkeit eignet sich das daher nicht. Wenn du dich allerdings aus dem Fenster lehnst und die moralischen Werte in völlig überzogenen Fällen vertrittst, dann schreckst du damit zwar Außenstehende ab, aber um die ging es ja auch gar nicht. Es ging darum, innerhalb der Gruppe zu signalisieren, dass du so moralisch gefestigt bist, dass du die Prinzipien der Gruppe auch in unter Selbstaufgabe und Inkaufnahme von Schaden für den eigenen Ruf auf völlig abwegige Fälle anwendest.

Damit wäre – etwas flapsig ausgedrückt – Idiotie hier ein Costly Signal[6] (ja, mal wieder) für die eigene Verbundenheit mit der Gruppe. Man übertreibt die Verteidigung der Gruppenwerte so weit, dass es einen dumm dastehen lässt, weigert sich aber das wahrzunehmen, weil man es als Einstehen für die Gruppenwerte darstellt.

Das finde ich eine interessante Theorie: Danach brauchen Feministen letztendlich einen übermächtigen Feind, gegen den sie sich stemmen können und müssen lächerlich wirkenden Benachteiligungen aufzeigen, weil sie nur so deutlich machen, dass sie die Gruppen­interessen tatsächlich ernst nehmen. Wie ich hier bereits einmal dargestellt habe, entsteht dadurch etwas, was man in der Spieltheorie ein Gefangenendilemma in der Form des „Race to the bottom“ also ein „Abwärtswettlauf“ nennt.[7] Ich schrieb damals:

Im Privilegienfeminismus geht es darum, sich mit dem Opferstatus weitestgehend zu identifizieren und immer weitere Privilegien der anderen Gruppe zu entdecken. Da derjenige das Spiel gewinnt, der immer weitere Privilegien aufdeckt und Benachteiligungen ausmacht wird sich beständig unterboten, bis schließlich die normalsten Punkte – sich küssenden Heterosexuelle oder Babys – Privilegien und damit auch gleichzeitig Benachteiligungen sind.

Ein Ausbruch wäre damit nur dann möglich, wenn innerhalb des Feminismus „kooperiert“ wird und man sich auf eine Untergrenze einigt. Das ist allerdings in einem so fließenden Bereich und aufgrund des Gewinnes für den Einzelnen, der eine neue Benachteiligung darlegen kann nicht zu erwarten.

Der Feminismus befindet sich insoweit bezüglich seiner Privilegien­theorien in der derzeitigen Form in einem klassischen Prisoners Dilemma.

Fefe schreibt weiter:

Man könnte also im übertragenen Sinne davon sprechen, dass man sich über solche Klogriffe als Märtyrer inszeniert. Märtyrern geht es ja auch nicht darum, den Gegner umzustimmen, sondern innerhalb der eigenen Gruppe Ansehen zu gewinnen. Und die Gruppe hat einen Anreiz, Märtyrer zu feiern, weil das den anderen gegenüber die Botschaft festigt, dass ihr eigenes Verhalten noch nicht weit genug geht (in unklaren Situationen sind Menschen immer versucht, ihre eigene Position in der Mitte des Spektrums zu suchen, und Märyrer treiben das Aktivismus-Extrem des Spektrums weiter nach außen, was auch die Mitte verschiebt).

Das Money Quote dazu ist:

In the same way, publicizing how strongly you believe an accusation that is obviously true signals nothing. Even hard-core anti-feminists would believe a rape accusation that was caught on video. A moral action that can be taken just as well by an outgroup member as an ingroup member is crappy signaling and crappy identity politics. If you want to signal how strongly you believe in taking victims seriously, you talk about it in the context of the least credible case you can find.


Genauso wenig ist es ein Zeichen, wenn man öffentlich macht, wie sehr man einer Anschuldigung glaubt, die offensichtlich wahr ist. Selbst hartgesottene Antifeministen würden einem Vergewaltigungs­vorwurf glauben, der auf Video festgehalten wurde. Eine moralische Handlung, die genauso gut von einem Mitglied einer Outgroup wie von einem Mitglied einer Ingroup ergriffen werden kann, ist ein mieses Signal und eine miese Identitäts­politik. Wenn Sie signalisieren wollen, wie sehr Sie die Opfer ernst nehmen, sprechen Sie darüber im Kontext des am wenigsten glaubwürdigen Falls, den Sie finden können.

Das mit den Märtyrern steht nicht bei Slate Star Codex, das habe ich extrapoliert, das ist meine Deutung.

Innerhalb dieses Systems folgt es also durchaus einer inneren Logik, dass Feministinnen auch dann, wenn sonst jeder davon ausgeht, dass der Fall deutlich widerlegt ist oder zumindest sehr plausible Zweifel an der Tatschilderung bestehen, ein „#IStandwith…“-Hashtag herausgeben. Es erklärt auch, warum man in deren Welt Erzählmirnix eindeutig ablehnen muss: Wenn sie in einem Bereich gegen die Regeln verstößt, etwa weil sie sagt, dass Fett gesundheitschädlich ist, dann kann man mit ihrer Ablehnung – auch wenn sie eigentlich recht hat und das durch Studien belegt – eben zeigen, dass man auch an dieser unlogischen Position festhält. Ist man erst einmal in dieser Scheinlogik gefangen, in der es um Anerkennung innerhalb der Gruppe geht, dann ist das anerkennen irrationaler Positionen und die fehlende Bereitschaft sie zu hinterfragen plötzlich etwas gutes, ebenso wie das Ablehnen aller Andersdenkenden. Wer mehr Ungläubige geblockt hat, der zeigt nur wie sehr er solche Abweichler hast. Religionen bauen insofern auf einem ähnlichen Prinzip auf, weswegen ich auch dort schon einmal angeführt habe, dass der Glaube an dortige besonders aberwitzige Konzepte gerade besonders die Hingabe betonen können. Poststrukturalismus eignet sich insofern besonders für solche Identitäts­politik, weil man hier nahezu die gesamte Wirklichkeit ignorieren kann – sie ist eben nur konstruiert. Deren Irrationalität wird auf diese Weise von einem Nachteil zum Feature – nur wahre Gläubige können sich hier hineindenken und sich damit würdig erweisen.

Fefe weiter:

Nun, was kann man dagegen tun? Nicht viel. Man kann die Gegenseite nach rationalen Argumenten fragen, aber die gibt es natürlich nicht. Das war ja gerade der Punkt. Wenn es rationale Argumente gäbe, hätte sich derjenige einen anderen Fall für das Signalisieren der eigenen moralischen Überlegenheit gesucht.

Aus einer solchen Konstruktion auszubrechen, kann in der Tat schwierig sein – den Kaiser in Kleidern zu sehen, zeigt ja nur die Liebe zum Kaiser. Die rationalen Gegenargumente aufzuzeigen wird allerdings bewirken, dass der Einstieg in das Spiel schwieriger ist, weil gleich Zweifel verbleiben, über die man sich erst selbst belügen muss. Und es führt dazu, dass die „Schwachen“ (also die nicht so Gläubigen und rational Denkenden) ausgesiebt werden und demnach die Ideologie zunächst radikaler wird. Ein Prozess, der so aus meiner Sicht im Feminismus bereits begonnen hat.

Quelle:
Die heilige Kirche des Feminismus, Alles Evolution am 30. März 2022
Feminismus als Kult und Erlösungsreligion, Alles Evolution am 26. September 2016
Das Ausblenden der Unlogik im radikalen Feminismus als Costly Signal, Alles Evolution am 25. Oktober 2015
Anmerkungen:
[1] Baumbaron am 28. März 2022 um 10:08 Uhr
[2] _Flin_ am 28. März 2022 um 6:58 Uhr
[3] Melissa A. Fabello: 100 Everyday Ways That Feminism Has Changed My Life, Every Day Feminism am 7. September 2016
[4] Fefe am 22. Oktober 2015
[5] Scott Alexander: The Toxoplasma Of Rage, Slate Star Codex am 17. Dezember 2014
[6] Religion als Costly Signal, 19. Januar 2013
[7] IDPOL und Privilegientheorien als Prisoners Dilemma, Alles Evolution am 2. Mai 2013